Da wir durch Anitas Verletzung etwas Zeit abseits unserer Räder “gewonnen” haben, suchen wir uns für die kommenden Tage ein gebührendes Alternativ-Programm. Wir wollen der Hand Zeit zum Heilen geben und nutzen die Pause, um die Berge der Cordillera Blanca zu Fuß kennen zu lernen. Unser Ziel ist die Laguna 513, die unterhalb des mächtigen Nevado Hualcan liegt. Da wir nur ungern die gleiche Route wieder retour gehen wollen, fassen wir eine weglose Traverse zur Laguna Auquiscocha ins Auge, von welcher aus ein Wanderweg zu einer Asphaltstraße führt. Von dieser aus wollen wir per Autostopp ins Tal zurückkehren. Am Tag 1 schaffen wir es bis zur wunderschönen Laguna Yanahuanca. Dort verbringen wir eine kühle, aber angenehme Zeltnacht. Die spektakulär am Fuße eines mächtigen Hängegletschers liegende Laguna 513 erreichen wir Tags darauf am späten Vormittag. Über wegloses Gelände visieren wir eine Scharte an, wo wir auf ca. 4.800 Meter den Durchgang ins Neben-Tal vermuten. Wir scheitern schlussendlich an einem ca. 20 Meter tiefen, senkrechten Felsabbruch, den wir ohne entsprechender Ausrüstung und mit einer lädierten Hand nicht überwinden können. Uns bleibt nur der Rückzug, der 1.800 Tiefenmeter Abstieg am Stück bedeutet. In der Abenddämmerung erreichen wir schließlich wieder die Zivilisation. Neben herrlichen Eindrücken bleibt uns ein heftiger Muskelkater, der uns die nächsten Tage begleitet.
Eine gute Woche ist nun seit Anitas Sturz vergangen. Die Schwellung ist abgeklungen, die Schmerzen halten sich in Grenzen – alles in allem fühlt sich die Hand recht gut an. Ausgerüstet mit einer eisenverstärkten Neopren-Schiene möchte Anita wieder aufs Rad. Wir wollen in den kommenden Tagen den nördlichen Teil der “Peru Divide” fahren. 2019 haben wir den südlichen Teil dieser unter abenteuerlustigen Tourenradlern bekannten Route bewältigt, diesmal möchten wir diese komplettieren. Über den gut 4.800 Meter hohen Yanashallash-Pass führt die Strecke in zwei Fahrtagen von Huaraz nach Huallanca. Am ersten Tag geht es zum Aufwärmen auf 45 Asphalt-Kilometern sanft steigend bis zur Abzweigung Richtung Pastoruri-Gletscher. Von dort an holpern wir auf einer rupigen Schotterstraße weiter. Bis zum Nationalpark-Eingang schaffen wir es, dann wird gezeltet. Der darauffolgende Tag wird hart. Immer steiler schwingt sich die Piste hoch auf die erste Passhöhe auf 4.800 Meter, danach “rollen” wir gefühlt ewig rauf und runter. Wären die Ausblicke nicht so atemberaubend, würde unsere Motivation rasch schwinden. Zu unserer Linken erstrecken sich die schneebedeckten Spitzen der Cordillera Blanca, zu unserer Rechten erhaschen wir Ausblicke auf die nicht minder spektakulärere Cordillera Huayhuash. Dazwischen liegt ein weites, nahezu unbewohntes und kontrastreiches Hochland. Die Strecke fordert uns alles ab, erst am späten Nachmittag spuckt sie uns auf einer Asphaltstraße auf knapp 4.700 Meter aus. Es folgt eine 26 Kilometer lange Abfahrt, die schließlich im Städtchen Huallanca endet. Unterkühlt und müde checken wir in einer einfachen Hospedaje ein …
Das Resüme nach diesen zwei “Probetagen”: Anitas Hand hält solche Strapazen noch nicht aus, die Schwellung ist zurück. Um weitere Verzögerungen in der Heilung zu vermeiden, brechen wir unser Experiment “Peru Divide Nord” spontan ab. Halbgas-Biken in Peru ist sogut wie unmöglich. Es gibt hier einfach keine Strecken, die in irgendeiner Weise leicht wären. Am nächsten Morgen sitzen wir in einem schäbigen Bus, der uns in einer achtstündigen Fahrt nach Lima bringt. Von dort aus nehmen wir den nächsten Bus nach Cusco, was weitere 24 Stunden an Bord eines zwar etwas besseren Busses bedeutet, aber immer noch mühsamer ist als ein harter Tag auf dem Bike …
Die einstige Inka-Hauptstadt Cusco ist nicht zu Unrecht eine der meistbesuchten Touristenattrakttionen Perus. Hier treffen archäologische Stätten auf spanische Kolonialarchitektur, viele der alten Häuser und Kirchen wurden auf den Mauerresten einstiger Inka-Tempel und -Bauwerke errichtet. Darüber hinaus fungiert Cusco unter anderem als Ausgangspunkt für Ausflüge ins Heilige Tal, nach Machu Picchu und in den nahen Regenwald. Es gibt bunte und lebhafte Märkte zu erkunden, zahlreiche exzellente Cafes, Restaurants und Bars buhlen um Kundschaft und das Angebot an guten Hotels ist kaum zu übertreffen. Für uns ist Cusco ein idealer Ort zum Rasten. Wir schlendern durch die steilen Gassen von San Blas, beobachten das Treiben am Hauptplatz und tüfteln an einem Alternativ-Programm für die nächste Zeit …
Als wir am Nachmittag des 7. September auf der Suche nach einem Restaurant sind, schallt uns von der nahen Plaza laute Musik entgegen. Wir sind neugierig, spazieren hinüber und finden uns völlig unvorbereitet inmitten des Virgen Natividad Festivals wieder. Heute wird die Geburt der Jungfrau Maria gefeiert. Unzählige Tanz- und Musikgruppen aus ganz Peru finden sich zusammen und verwandeln die Plaza in einen magischen Ort. Für Außenstehende mag diese Fiesta vieleicht etwas chaotisch wirken. Die zahlreichen Masken, Kleider und Tänze haben aber alle eine tiefere Bedeutung. Mit viel Stolz und Leidenschaft bieten tausende Teilnehmer ausgeklügelte Performances dar, für uns ein einzigartiges Erlebnis …
Wir wollen die radfreie Zeit nutzen, um eine uns bislang unbekannte Seite Perus kennenzulernen. Für eine Woche tauchen wir ein in das „Grüne Herz Südamerikas“, den Amazonas. Wir tauschen die hohen Berge und die karge Landschaft der Anden gegen üppiges Grün, eine sagenhafte Geräuschkulisse und eine unglaublich vielfältige Flora und Fauna.
Mit einem Kleinbus überwinden wir zuerst einen ca. 4.000 Meter hohen Pass, bevor wir in gefühlt Millionen Kehren und Kurven durch den Nebelwald bis an den Rand des Regenwaldes vordringen. Dann geht es per Boot auf dem Rio Madre de Dios weiter. Auf den ersten Metern unserer Bootsfahrt werden wir vom “Condor de la Selva” begrüßt. Jeden Tag gibt es Neues zu entdecken. Schon vor den ersten Sonnenstrahlen starten wir in den Tag, nutzen jede Minute, um diese magische Welt zu erkunden. Es ist einfach traumhaft schön, die Zeit vergeht viel zu schnell. Als Höhepunkt werden wir am letzten Tag von einem Jaguar “verabschiedet”, der sich im mystischen Morgennebel auf einer Sandbank ausruht.
Unser Abenteuer Regenwald liegt mittlerweile schon wieder gut drei Wochen zurück. Und soviel könne wir euch schon verraten: Seitdem sind wir wieder mit den Rädern unterwegs! Mehr dazu werden wir euch im kommenden Reisebericht verraten, den wir in ein paar Tagen online stellen werden.
Bis dahin schicken wir euch herzliche Grüße aus Bolivien,
Anita & Andi