#4 – Zwischen den Cordilleren

Nach unserem Dschungel-Abenteuer (siehe letzter Bericht) sind wir wieder bereit, auf unsere Räder zu steigen. Anitas Handgelenk sollte soweit wieder gut geheilt sein, wir sind perfekt erholt und hungrig nach neuen Abenteuern. Etwas südlich von Cusco wollen wir eine Route unter unsere Stollenreifen nehmen, die sich unter Bikepackern einen legendären Ruf erarbeitet hat: Die “Ruta de las Tres Cordilleras“. Die beiden Bikepacking-Pioniere Michael Dammer und Cass Gilbert haben diese hochandine, sehr einsame und fordernde, etwa 700 Kilometer lange Strecke 2016 ausgearbeitet. Die fast vorwiegend abseits von Asphaltstraßen verlaufende Route verspricht ein wunderschönes und abgelegenes Bikepacking-Abenteuer zwischen Peru und Bolivien, immer entlang der drei Gebirgszüge Cordillera Real, Cordillera Apoloba und der Cordillera Vilcanota. Am Programm stehen zahlreiche unbekannte Andenpässe, Höhen bis 5.100 Meter, anspruchsvolle Trails und harte Schiebepassagen.

Wir wollen die “Tres Cordilleras” von Cusco aus in Angriff nehmen, was für uns zwei einfache “Einradel-Tage” auf Asphalt bis Pitumarca bedeutet. In diesem kleinen Städtchen heißt es für uns Vorräte für ein paar Tage einkaufen und ein letztes mal in einem echten Bett schlafen. Tags darauf geht es auf einer guten Schotterstraße hoch nach nach Chillca, von wo aus wir den Ausangate umrunden werden. Wir finden einen angenehmen Lagerplatz auf 4.300 Meter und sind gespannt auf die kommenden drei Tage, die uns um diesen heiligen Berg bringen werden.

Der 6.384 Meter hohe Ausangate ist für die Peruaner heilig. Für die Inca war dieser majestätische Berg eine der Hauptgottheiten des Andenkults. An seiner Magie hat der Ausangate auch heute nichts verloren. Mächtige Gletscher, türkisfarbene Lagunen und traumhafte Landschaften erwarten den Besucher. Auch unter Tourenradlern hat der Ausangate einen legendären Ruf. Er verspricht drei beinharte Tage mit viel Schieberei, Pässe von über 5.000 Meter und einzigartige Eindrücke.

Schon am ersten Tag sind wir ordentlich gefordert, etwa ein Drittel des Anstieges auf den Abra Campa (5.075m) können wir nur mühsam schiebend bewältigen. Es folgt ein fahrbarer, traumhafter Singletrail, der uns ein paar hundert Höhenmeter weiter unten auf einem wunderschönen Lagerplatz ausspuckt.

Am nächsten Morgen erwartet uns ein bedeckter Himmel. Es ist kühl, Nebelschwaden lassen die Landschaft mystisch erscheinen. Wir suchen uns unseren Weg durch oftmals wegloses Gelände und wuchten die Räder teils zu zweit steile Wegabschnitte hoch. Am Nachmittag erwartet uns eine atemberaubende Mondlandschaft, durch die sich ein gewundener, flowiger Trail zieht. Leider wird unsere Laune von einem Gewitter getrübt, welches uns mit Wind, Hagel und ohrenbetäubendem Donner in Schach hält.

Der letzte Tag auf dem Ausangate-Loop beginnt mit einer Fluss-Querung. Wir arbeiten uns mal steil, mal mäßig steil hoch, immer wieder sind kurze Teilstücke fahrbar. Oberhalb türkisfarbener Lagunen thront an der Südwest-Flanke des Ausangate ein mächtiger Gletscher, den wir bis zum frühen Nachmittag entlangmarschieren. Der darauffolgende Downhill zur Laguna Ausangate entschädigt für alle Strapazen. Mit einem reinrassigen Mountainbike wäre man hier im siebten Himmel, aber auch mit bepackten Bikes macht das Runter-Cruisen richtig Spaß. Durch ein weites, kontrastreiches Tal zieht sich schließlich eine gut fahrbare Piste wieder hinaus in die Zivilisation. Am Abend schließt sich der Kreis und wir erreichen ziemlich müde unseren altbewährten Lagerplatz nahe Chillca.

Auch wenn es teilweise wirklich grenzwertig war für uns, möchten wir dieses Erlebnis nicht mehr missen. Und Anitas Hand? Ja, die hat die Tortur gut überstanden. Weiter geht es auf der “Tes Cordilleras”!

Die nächsten drei Fahrtage sind geprägt von bis zu 5.100m hohen Pässen, einsamen Bergdörfern und einer spektakulären Landschaft, die schwer zu beschreiben ist. Das golden erscheinende Punagras kontrastiert eindrucksvoll mit rötlich-braunen bis beigen Erd- und Gesteinsschichten, riesige Alpaca-Herden lockern das Landschaftsbild auf. Immer im Blickfeld die hohen “Nevados” (Schneeberge) der umliegenden Cordilleren. Eine der Haupt-Schwierigkeiten wird für uns das wechselhafte Wetter, die Regenzeit kündigt sich langsam aber sicher in Form mächtiger Nachmittags-Gewitter an. Am dritten Tag finden wir uns Abends schließlich im Städtchen Macusani wieder. Die größte Stadt auf der gesamten Route eignet sich für uns perfekt für einen wohlverdienten Ruhetag, den wir großteils essend und relaxend verbringen.

Ein altes Sprichwort sagt: “Dort wo Fremde selten sind, sind sie willkommen”. In den vier Tagen zwischen Macusani und Cuyocuyo erleben wir genau dieses Phänomen auf eigenem Leibe. Fast jede Begegnung ist von sympathischer Neugier geprägt, die Menschen gehen auf uns zu und fragen uns Löcher in den Bauch. Nicht nur einmal lehnen wir das Angebot einer Mitfahrgelegenheit ab. Für die Leute ist es dann meist unverständlich, warum man sich freiwillig auf einem Fahrrad mieseste Pisten auf über 4.500 Meter hochquält. Tja, und ehrlich gesagt ist es das für uns auch manchmal. Aber es sind genau diese Erlebnisse: Intensive Tage draußen in der Natur, ebenso intensive Begegnungen mit Menschen in einer Region, die nur selten fremde Besucher sieht und ein wenig Stolz, solch schwierige Routen mit eigener Muskelkraft bewältigt zu haben …

Cuyocuyo liegt östlich des Anden-Kammes auf rund 3.400 Meter. Bereits lange bevor die Spanier das Land kolonisiert haben, wurde hier in der Umgebung in großem Stil Terrassen-Wirtschaft betrieben. Diese sogenannten “Andenes” (Terrassen-Landschaften) kann man hier in erstaunlichem Ausmaß vorfinden. Große Teile dieser Felder werden auch heute noch in archaisch anmutender Weise mit Handwerkszeugen bewirtschaftet. Wir verbringen einen wohlverdienten Ruhetag hier und besuchen die nahen Thermalbäder. Da am darauffolgenden Wochenende Regional-Wahlen anstehen, verwandelt sich die sonst eher geruhsame Stadt in eine laute, bunte und chaotisch wirkende Bühne für die Kandidaten. Die Anhänger unterstützen ihre Favoriten mit Fahnen, Megaphonen und viel Leidenschaft, zwei gegenüberliegende Bühnen versuchen sich gegenseitig zu überschallen …

Von Cuyocuyo aus bringt uns ein langer Anstieg in eine Region, die ein leider nicht so schönes Gesicht Perus zeigt. In der Gegend rund um Ananea wird in großem Stil Gold abgebaut, das nahe La Rinconada hat sich als höchstgelegene Stadt der Welt einen zweifelhaften Ruf erarbeitet. Teils unter prekären Bedingungen arbeiten die “Mineros” in oft illegalen Minen, die Lebenserwartung ist ungewöhnlich niedrig und die Gewaltschwelle hoch. Wir navigieren zwischen mächtigen Schuttkegeln, verschmutzten Abwasserteichen und trostlos wirkenden Verarbeitungs-Anlagen hindurch. Schlussendlich finden wir uns aber rasch wieder in einer unberührten Landschaft wieder, nach viel auf und ab erreichen wir nach rund drei Wochen den Titicaca-See, wo wir von Peru nach Bolivien einreisen. Das letzte Stück der “Tres Cordilleras” fahren wir auf einer Alternativ-Route am Ostufer des 8.300 Quadratkilometer großen Sees bis nach Copacabana, wo wir uns ein paar wohlverdiente Ruhetage gönnen.

Von unserem Refugium in Copacabana werden wir uns bald wieder lösen. Unser Plan sieht vor, dass wir uns per Bus weiter in den Süden katapultieren und sehr wahrscheinlich eines der größten Rad-Abenteuer unseres Lebens beginnen werden. Aber mehr verraten wir jetzt noch nicht.

Saludos desde Bolivia,
Anita & Anita