Anden Teil 2: Ein Traum für Höhenmeter-Freaks …

… und ein Albtraum für Kilometerfresser! Wer zur ersteren Kategorie Radfahrer zählt, findet in den Anden eine riesengroße Spielwiese mit nicht enden wollenden Möglichkeiten vor. Alle anderen sollten sich vor dieser Region hüten! Nie zuvor hatten wir eine derart schlechte Kilometer-Bilanz als in den letzten Wochen. Dafür zeigt die Statistik eine beachtliche Anzahl mühsam erkletterter Höhenmeter an.

Apropos Statistik: Momentan befinden wir uns in Arequipa, im Südwesten Perus. Nach 38 Fahrtagen und gut 1.800 zurückgelegten Kilometern haben wir sagenhafte 35.560 Höhenmeter in den Wadeln! Puh! Anitas Tagebucheintrag vom 31.7. spiegelt die körperlichen Strapazen einer Anden-Radreise recht gut wieder:

“Die Sonne lässt sich heute Morgen bitten, genauso wie der “Abra Tucuccacasa”. Steil zieht sich die Piste nach oben, in unzähligen, ewig langen Schlangenlinien. Am Pass angekommen, folgen kurze Abfahrten und weitere steile Anstiege. Es ist schon eine Quälerei und man fragt sich, was es bringt, an einem Tag 50 Kilometer bergauf zu strampeln, nur um am nächsten wieder 30 runter zu rollen und gleich wieder 40 Kilometer hochzuradeln … Aber was will man sagen: Sobald man am höchsten Punkt angekommen ist und bergab rollt, die wunderschöne Landschaft an einem vorbeizieht, scheint alle Anstrengung vergessen. Zumindest solange, bis die Straße wieder ansteigt …”

Zu einem großen Teil folgen wir seit mehreren Wochen schon der transkontinentalen Wasserscheide der Anden. Unter Radfahrern ist diese Route als “Peru Divide” bekannt. Sie gilt als eine der anspruchsvollsten Strecken, die man mit bepackten Fahrrädern bewältigen kann. Dies spiegelt sich darin wieder, dass wir oft über mehrere Wochen keinen anderen Radlern begegnen. Die Eindrücke sind intensiv und hart verdient. Es sind kleine, unscheinbare Dörfer und Städe, durch die wir zwischen den vielen einsamen Etappen radeln. Nichts, was man üblicherweise auf der Must-See-Liste eines Peru-Reisenden findet. Und genau das reizt uns. Wir erleben das Land so, wie es ist. Unverblümt, ohne Maske und ohne inszenierter Idylle. Dafür mit sehr viel Authenzität und mit voller Wucht.

Eine dieser kleinen Ortschaften auf unserem einsamen Weg ist Andagua, im “Valle de los Volcanes”. Eigentlich wollten wir hier nur schnell was essen und Vorräte aufstocken, doch wir ändern spontan unseren Plan. Heute soll im Dorf eine “Corrida de toros” – ein Stierkampf stattfinden. Wir sind anfangs etwas skeptisch, da wir nicht zu den Anhängern socher Tierquälereien gehören. Seit einem Jahr dürfen in Peru bei solchen Spektakeln zwar keine Stiere mehr getötet werden, trotzdem werden die Tiere einem starken Stress ausgesetzt und unnötig gehetzt. Dennoch sind wir neugierig, wollen uns unseren eigenen Eindruck machen und lenken unseren Fokus auf das Fest rund um die Corrida. Die Leute sind in Feierlaune, kommen aus den umliegenden Dörfern. Sie tanzen, treffen sich – manche nur einmal im Jahr, lachen miteinander und trinken das eine oder andere Bier, Chicha (Maisbier), Wein und Schnaps. Wir werden herzlich in die Gemeinschaft der veranstaltenden Familien aufgenommen und erleben ein fröhliches Miteinander, in dem die Corrida selbst meist eher nebensächlich erscheint.

Um vom “Valle de los Volcanes” weiter Richtung Arequipa und in die Gegend rund um den berühmten Colca-Canyon zu reisen, musste man sich bisher auf ruppigen Pisten, die vorwiegend von den Minengesellschaften genutzt werden, über einen knapp 5.200 Meter hohen Pass schinden. Am 12. August, genau 4 Tage bevor wir in Andagua ankommen, wurde jedoch eine Brücke über den Rio Colca eröffnet, die eine völlig andere Routenführung ermöglicht. Viel einfacher wird die Route zwar nicht – immerhin braust man zuerst von knapp 4.900 Meter Seehöhe runter auf 1.400 Meter, nur um dann wieder auf rund 4.100 Meter hochzuklettern. Doch das Unbekannte an dieser Variante reizt uns und lässt uns unseren ursprünglichen Plan über den Haufen werfen. Eine perfekte Asphaltstraße bringt uns in rasanter Fahrt hinunter in eine Gegend, die man eher im Südwesten der USA vermuten würde. Nach einem magischen Kakteenwald dringen wir ein in eine karge, wüstenhafte und tief eingeschnittene Landschaft – der zweittiefste Canyon der Welt lässt den Grand Canyon in vielen Belangen klein aussehen. Wir sind die ersten Radler, die die neue Brücke queren. Gleich danach beginnt wieder einmal ein langer, langer Anstieg – 2.700 teils sehr steile Höhenmeter am Stück fordern uns ganze 1 1/2 Tage. Knappe 5 Tage benötigen wir noch, um unser lange ersehntes Zwischenziel zu erreichen: Arequipa, die zweitgrößte Stadt Perus.

 

Ruhetage – gleich vier am Stück! DAS haben wir uns nun redlich verdient. Arequipa ist der perfekte Ort, um sich von den vergangenen Etappen ein wenig zu erholen und Kraft für die kommenden Wochen zu tanken. Eingerahmt von drei Vulkanen, gelegen auf 2.300 Meter Seehöhe, rund 300 Sonnentage im Jahr und ein angenehmes Klima bescheren der “weißen Stadt” einen hohen Rang in der Beliebtheitsskala peruanischer Reiseziele. Dazu kommen wunderschöne, koloniale Gebäude aus weißem Lavastein, ein mehr als reichhaltiges Angebot an kulinarischen Hochgenüssen (ganz, ganz wichtig für abgemagerte Reiseradler) und eine mehr als entspannte Atmosphäre.

 

Unser Kurzurlaub währt aber nicht ewig. Die Räder sind gewartet, unsere Fettreserven wieder etwas aufgefüllt und die Abenteuerlust entflammt bereits wieder. Schon bald finden wir uns wieder schwitzend auf steilen Anstiegen, bei Minusgraden in unserem Zelt und mit offenen Mündern vor sagenhaften Panoramen. Aber dazu mehr beim nächsten Eintrag.

Hasta luego,
las nanditas