Teil 1: Banff (Kanada) – Helena (Montana, USA)

Seit zwei Tagen haben wir keine Meschenseele mehr gesehen. Wir radeln durch wunderschöne, einsame Märchenwälder, trinken Wasser aus klaren Flüssen und genießen die Stille. Plötzlich höre ich einen Schrei – unser Radlerkollege Bryan, eben noch hinter mir, ist weg. Kein guter Zeitpunkt für eine Verletzung, denke ich mir im selben Augenblick. Ein Knochenbruch in dieser Gegend wäre fatal. Die nächste Ortschaft ist meilenweit entfernt. Ich laufe zurück, sehe Bryan wie einen Käfer am Rücken im Flussbett liegen. Das Rad auf ihm drauf. Es dauert eine Weile bis er sich bewegt, uns registriert.

Wie durch ein Wunder bleiben sowohl er, als auch sein Fahrrad unbeschadet. Als kleines Souvenir für den Unfall nimmt er sich lediglich einen blutunterlaufenen, umgeknickten Fingernagel mit. Das geht …

Was für ein Traum hier zu radeln, wären da nicht überall diese Warnungen! Der Herbst steht vor der Tür und die Bären müssen sich ordentlich vollfressen um den Winter zu überstehen. Zugegeben, die ersten Nächte liegen wir – besser gesagt Anita – schlaflos im Zelt. Ständig das Gefühl, dass hinter jedem Baum ein ausgehungerter Grizzly lauern könnte. Unser Essen (und ja, es ist viel und schwer) auf einem Baum zu sichern ist anfangs auch nicht so einfach und neu für uns. Aber, wir gewöhnen uns daran. Finden immer bessere Methoden – und mit jeder Nacht, die wir überleben, gewinnen wir Vertrauen, dass Bären doch lieber Huckleberries als stinkende Radfahrer essen.

….

Montana on fire

Mittlerweile sind wir seit knapp zwei Wochen in Montana, USA und müssen wegen der verheerenden Waldbrände einige Umwege nehmen. Für uns sind es nur wenige Tage, in denen wir in der dicken Rauchwolke radeln – aber für die Menschen, die hier leben, steht ihre gesamte Existenz am Spiel.

Trocken ist es in Montana, so trocken wie seit Jahren nicht mehr. Der Boden hat schon monatelang kein Wasser gesehen. Das Gefährliche in solchen Situationen sind die Gewitter, die Wind und Blitze bringen, aber keine Feuchtigkeit. Fast alle Feuer in der Gegend wurden von Blitzschlag entfacht, erzählt uns Gordy, der uns vor der Laundry in Seeley Lake entdeckt und uns ein kaltes Bier in die Hand drückt.

„Es tut gut, Leute lachen zu sehen“, meint er. „Denn momentan ist es wirklich nicht so einfach hier“. Während wir plaudern, wird die Rauchwolke vor uns immer größer und dunkler. Helikopter und Löschflugzeuge kreisen über unseren Köpfen … Wir entschließen angesichts der Situation zumindest noch ein kleines Stück weiterzuradeln. Eine gute Entscheidung, wie sich am nächsten Tag herausstellt, denn mitten in der Nacht wird ein Teil der kleinen Ortschaft evakuiert. Zur Sicherheit aller Bewohner.

Momentan liegen wir in einem kuschelig weichen Bett im Haus von Elizabeth & Dave, mitten in Montanas Hauptstadt, Helena. Wir haben die beiden und ihre Kids vor ein paar Tagen auf einem Campingplatz kennengelernt.
Die Feuer liegen Gott sei Dank hinter uns … und vor uns liegt ein schöner Abend mit wunderbaren, großherzigen Menschen und leckerem Essen 🙂

Also Mahlzeit und bis bald,
Anita&Andi